Sonntag, 17. Dezember 2017

Redebeitrag der Augsburger Heleferkreise zur Kundgebung am 16.12.2017

Am 16.12.2017 hat der Augsburger Flüchtlingsrat gemeinsam mit dem Netzwerk Solidarische Stadt Augsburg zu einer Kundgebung "Gegen Abschiebungen in Krieg und Perspektivlosigkeit - Für ein solidarisches Miteinander" aufgerufen.

Für alle die nicht dabei sein konnten oder nochmal nachlesen wollen, präsentieren wir nachfolgend den Redebeitarg von Isabella Geier, die auf der Kundgebung stellvertretend für die Augsburger Helferkreise sprach.

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Keine Abschiebungen aus der Friedensstadt in ein Kriegsland!

Augsburg ist Friedensstadt. Dieser Titel verpflichtet. Darum wünschen wir Augsburger Helferkreise uns von unserer Stadt, die uns dieses Jahr den Zukunftspreis verliehen hat, dass Bürger, Stadträte und Behörden für Frieden und Menschlichkeit einstehen und laut ihre Stimme erheben, wenn Schutzsuchende in ein Land abgeschoben werden, in dem Bürgerkrieg herrscht, und in dem sie nicht nur den Angriffen der Taliban, sondern auch denen des IS ausgesetzt sind, der in Afghanistan immer stärker wird. Am 06. Dezember, an dem Tag, an dem in Frankfurt wieder Menschen gegen ihren Willen in einem 300.000,- € teuren Flug nach Afghanistan abgeschoben wurden, erschien ein Bericht[1], dass sich in der Provinz Jawzjan, aus der etliche der von uns betreuten Flüchtlinge stammen, 300 Kinder in der Hand des IS befinden und zu Kindersoldaten abgerichtet werden. Die afghanische Regierung war und ist offensichtlich nicht in der Lage, diese Kinder zu schützen. 80% des Distrikts Darzab in dieser Provinz werden bereits vom IS kontrolliert. Und diese sunnitischen Extremisten haben es vor allem auf die Minderheit der Hazara abgesehen, eine Volksgruppe schiitischen Glaubens. In letzter Zeit häufen sich gezielte Attentate auf schiitische Moscheen, schiitische Menschenansammlungen auf Märkten, Demonstrationen und religiösen Festen. Kaum etwas davon wird noch von den westlichen Medien registriert. Unter den Flüchtlingen aus Afghanistan, die hier bei uns Schutz suchen, und um die wir Helfer uns kümmern, sind besonders viele Hazara. Und viele von ihnen sind akut von Abschiebung bedroht. Aber auch für Angehörige anderer Volksgruppen ist Afghanistan kein sicheres Land. Nirgends! Und schon gar nicht für die Abgeschobenen, die nie in Afghanistan gelebt haben, oder kleine Kinder waren, als ihre Familien aus dem Krieg in eines der Nachbarländer flohen.

Wir müssen die Werte unseres Grundgesetzes, unserer Grundrechte hochhalten, auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit! Die Grundrechte wurden geschaffen, nachdem wir die schlimmste und inhumanste Epoche unserer Geschichte mit Millionen Toten und den grauenhaftesten Verbrechen hinter uns hatten – als Wegweiser in eine humane, friedvolle Zukunft. Dahinter dürfen wir nicht zurückfallen, egal was ist. Und das heißt: wir dürfen nicht zulassen, dass junge Männer und Familien in das Kriegsland Afghanistan abgeschoben werden, in der Regel nach Kabul, wo es eine Jugendarbeitslosigkeit von 80%[2] gibt. Die Bevölkerung dieser Stadt ist in 15 Jahren von 500000 auf 4 – 5 Millionen angewachsen[3]. Das liegt zum einen an der Bürgerkriegssituation und der dadurch ausgelösten Binnenflucht, zum anderen an den Abschiebungen. Iran und Pakistan haben allein 2016 über 1 Million Afghanen abgeschoben[4], und Europa hat an die afghanische Regierung 1,2 Milliarden Euro[5] bezahlt, damit diese ihre geflüchteten Bürger wieder zurücknimmt. Die Entwicklung der Infrastruktur in Kabul hat in keiner Weise mit diesem Bevölkerungswachstum mithalten können. So gibt es in ganz Kabul nur eine psychiatrische Klinik[6]. Nur eine einzige, für an die 5 Millionen Menschen, von denen ein hoher Anteil kriegsbedingt traumatisiert ist. Trotzdem wurden und werden auch psychisch kranke Schutzsuchende abgeschoben[7]! Wir Helfer erleben viel Leid bei den von uns betreuten afghanischen Flüchtlingen: wenn z. B. Vater oder Mutter bei einem Bombenattentat ums Leben kommen, wenn Angehörige in die Hand von Extremisten geraten, wenn ein Anschlag in der unmittelbaren Nähe des Wohnorts der Familie bekannt wird und über Stunden oder Tage die Verbindung komplett abgeschnitten ist, so dass sie nicht erfahren, wer von ihren lieben überlebt hat. Viele von ihnen hassen ihr Land, das ihnen alles genommen hat: ein ungestörtes Leben in Frieden, ihre Familie, ihre Heimat. Sie hassen es so sehr, dass sie lieber sterben wollen, als dorthin zurückkehren zu müssen. Immer wieder haben wir Helfer es mit Selbstmordversuchen und darum mit dem BKH zu tun.

Auf der anderen Seite erleben wir aber auch, was eine Bleibeperspektive beispielsweise durch eine Ausbildung bewirken kann! Wie motiviert und eifrig sich die Flüchtlings-Azubis in ihre neuen Aufgaben stürzen! Vor allem wenn sie von Paten gut begleitet werden, entsteht eine Win-win-Situation: Deutschland braucht schon aus demographischen, aber auch aus ökonomischen Gründen junge, motivierte Menschen. Wenn die Summen, die für die Abschiebeflüge aufgebracht werden, in noch passgenauere Berufsfördermaßnahmen investiert würden, wäre allen gedient: deutschen Arbeitgebern, die händeringend Personal und Azubis suchen, sowie den Flüchtlingen, die sich nach Sicherheit und Frieden sehnen. Denn Rückkehrer, die keine Arbeit, keine Wohnung, keine Sicherheit finden, sind das gefundene Fressen für Taliban und IS, die genau solche verzweifelten und perspektivlosen Menschen rekrutieren. Kann es in unserem, in Deutschlands, in Europas Interesse sein, Taliban und IS regelmäßig neue Rekruten zuzuführen? 

Darum fordern wir alle auf, den Resolutionsentwurf, den wir zusammen mit dem Flüchtlingsrat an die Stadtratsfraktionen geleitet haben, zu unterstützen. Auch wenn die Stadt Abschiebungen nicht veranlasst, wäre es doch ein starkes Zeichen, zu dem sich andere Städte wie München, Regensburg, Erlangen schon längst durchgerungen haben, wenn der Augsburger Stadtrat sich dezidiert gegen Abschiebungen nach Afghanistan ausspricht und alle Spielräume ausschöpft, diese zu be- oder zu verhindern. Dass die Stadt diese Resolution beschließen möge und damit ihrem Titel als Friedensstadt gerecht werde, das steht auf unserem Wunschzettel für Weihnachten ganz weit oben! 

Keine Abschiebungen aus der Friedensstadt in ein Kriegsland!

Isabella Geier



[1] http://ariananews.af/300-afghan-children-under-is-military-training-in-northern-afghanistan/
[2] https://www.ecoi.net/file_upload/6_1495100812_am17-3-thema-afghanistan.pdf
[3] https://www.ecoi.net/file_upload/6_1495100812_am17-3-thema-afghanistan.pdf
[4] https://www.ecoi.net/file_upload/6_1495100812_am17-3-thema-afghanistan.pdf
[5] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-02/europaeische-union-abkommen-afghanistan-kabul-fluechtlinge
[6] https://www.ecoi.net/file_upload/6_1495100812_am17-3-thema-afghanistan.pdf

[7] http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/asylpaket-ii-aerzte-und-fluechtlinge-unter-generalverdacht-1.2880048 und https://www.diakonie.de/stellungnahmen/keine-abschiebungen-nach-afghanistan/